Artikel
vom
29.6.21
Natürlich braucht es auch Glück im Leben. Neben vielen strategisch wichtigen Mitstreitern und schicksalhaften Begegnungen war ich mit dem richtigen Produkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Auf Facebook, als dort gewissermaßen die halbe Menschheit auf dem seinerzeit einzigen Social Media-Portal vernetzt war, konnte ich starten. Das war als Gelegenheit einmalig und so etwas dürfte sich jedenfalls in dieser Form auch kaum wiederholen: Ein neuer Kontinent war damals zu erschließen. Darüber hinaus hat Facebook im Jahr 2016 begonnen, bezahlte Werbung zu lancieren und aktivistischen Unternehmern dadurch entsprechende Präsenz zu ermöglichen, in der Folge dann auch auf Instagram. Gleichzeitig allerdings wurden Unternehmer in dieser Zeit auch immer stärker zum Adressat staatlicher Regulierung und Bürokratie, insb. Datenschutzgrundverordnung, Verpackungsverordnung und unzählige arbeitsrechtliche Bestimmungen nahmen zunehmend Ressourcen in Anspruch, was die Konzernwelt durch ihre vergleichsweise großzügigen Kapazitäten naturgemäß besser verkraften konnte als der Mittelstand. Zudem änderte sich zusehends das Stimmungsbild in der Arbeitswelt: Wo früher wann immer notwendig die Bereitschaft zu betriebsbedingten Überstunden bestand und das Thema Freude und Erfüllung bei der Arbeit durchaus positiv besetzt war, wurden diese Tugenden nun immer mehr in ein negatives Licht gerückt und zugleich die grundsätzlich natürlich wichtige- „work-life-balance“ nun aber zum neuen Mantra erkoren. Auch dies hat der „Werkbank der Welt“, Asien und vor allem China, einen zusätzlichen und oft unterschätzten Wettbewerbsvorteil verschafft.
Was Europas Markenhersteller jedoch mit am härtesten traf, waren die neuen lauterkeitsrechtlichen Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), durch die der selektive Vertrieb faktisch unmöglich gemacht wurde. Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei in der EU einmal legal in Verkehr gebrachter Ware der Hersteller keinen Einfluß mehr darauf nehmen darf, in welcher Weise und vor allem auf welchem Vertriebsweg die Ware angeboten wird. Im Klartext heisst das: Jeder Händler kann nach eigenem Gutdünken über Portale wie ebay und Amazon liefern, wohin er will. Genau dies hat das Modell der Plattformökonomie so groß gemacht, freilich allerdings zulasten aller, die zuvor noch von einem selektiven Vertriebsmodell profitiert und in dieses auch Investitionen getätigt haben. Den vielen Händlern, die bis dahin stets als kompetente Vermittler besonderer Marken und mit entsprechendem Produkt- und Serviceangebot in Erscheinung traten, war hierdurch praktisch der Boden entzogen. Sie genossen nun keinerlei Exklusivität mehr, sondern waren und sind vielmehr gezwungen, mit den großen Plattformen zu konkurrieren, die seitdem mit vollem rechtlichen Schutz jeden beliebigen Markenartikel in ihr Sortiment bekommen. Damit aber nicht genug: Auch Hersteller, die, um den guten Ruf der Marke zu schützen, weiterhin eine exklusive Vertriebspolitik gepflegt haben, konnten sich nicht mehr gegen Drittanbieter zur Wehr setzen, die die Artikel zu teilweise überhöhten, teilweise viel zu niedrigen Preisen z.B. auf Amazon lancierten. Selbst Garagenhändler, die zum Listenpreis eingekauft hatten, konnten dadurch noch Gewinn erzielen (teilweise durch Dropshipping). Den Hersteller trifft dies doppelt, da Kunden, die sich übervorteilt fühlen (oft zu recht), ihren Unmut leider selten gegen die Plattform oder den betreffenden Händler richten, sondern zumeist gegen das Produkt und die Marke, wie sich anhand vieler ausgewerteter Kundenrezensionen nachweisen lässt. Somit sind auch markenbewusste Hersteller und Händler schnell gezwungen, selbst auf den großen Plattformen in Erscheinung zu treten und sich den praktisch unverhandelbaren Konditionen der Betreiber zu unterwerfen.
Um beim Kampf um die Kundschaft und den guten Ruf nicht auf der Strecke zu bleiben, müssen jedoch noch weitere von BigTech gesetzte Hürden genommen werden, die den Zugang zum Kunden betreffen: Im Idealfall ist dieser zwar durch die Social Media Werbeanzeige eines Anbieters auf das betreffende Produkt erfolgreich aufmerksam geworden. Im nächsten Schritt wird vom Kunden jedoch üblicherweise nicht direkt die Seite des Herstellers aufgesucht, sondern per google-Suche der passende bzw. günstigste Anbieter ermittelt. Hierbei besteht allerdings stets das Risiko, dass der Interessent zu Konkurrenzprodukten geführt wird. Tritt dieser Fall ein, handelt es sich für den betroffenen Anbieter gewissermaßen um die „Höchststrafe“: Er hat die Nachfrage durch eigenen Aufwand zwar selbst geschaffen, profitieren tut von seiner Aktivität dann aber die Konkurrenz, weil sie in den google – Suchergebnissen vor ihm angezeigt wird. Um diese Fälle zu minimieren, muss das Unternehmen wiederum eine weitere Kröte schlucken und für das entsprechende Search-Engine-Optimizing (SEO) nochmals Geld in die Hand nehmen. Leider gibt es aber auch bei diesem Spiel einen schier unbezingbaren Gegner, der nicht nur ca. 20 % an allem verdient, sondern praktisch auch immer die Trefferliste bei den Google-Produktsuchen anführt und damit die von innovativen Unternehmen kreierte Nachfrage absaugt: Amazon.
Im Klartext heisst das: Wer als Markenhersteller eine optimale Darstellung möchte, macht das Spiel mit BigTech mit. Ohne wenn und aber. Wer meint, darauf verzichten zu können, der wird erleben, wie ehemalige Distributeure und Händler die Ware unterhalb des eigenen Händler-EK verramschen. Keine ernsthafte Option, wenn man am Markt bleiben will.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet die Teilnahme am BigTech-Spiel, dass zunächst 20% vom Umsatz aufgewendet werden müssen, um über Social Media die Nachfrage zu generieren, weitere 20 % vom Umsatz an Gebühren für eine Plattform, dann noch mal jeweils 5% an google/youtube und nochmal für Werbung an den Plattformbetreiber. Da es sich hierbei durchweg um in Steueroasen domizilierte US-Unternehmen handelt, geht somit etwa die Hälfte des Umsatzes ins Ausland. Arbeitsplätze und Unternehmenssteuern hierfür sind dementsprechend nicht zu erwarten.
Wer dagegen als deutscher Markenhersteller in diesem Jahr 2021 ein Vorsteuerergebnis in Höhe von 8% an seinen Umsätzen erzielen kann, darf damit durchaus zufrieden sein. So unterschiedlich können die Realitäten auf dem einst so verheißungsvollen neuen Kontinent eben ausfallen. Nicht unbedingt ein Grund enttäuscht zu sein, aber definitiv Grund genug, sich nichts mehr vorzumachen.
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