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vom
27.7.21
Was der US-Dollar für staatliche Währungen ist, ist der Bitcoin für den Krypto-Markt: die Leitwährung. Nach ihm richten sich alle anderen Kryptowährungen, auch Altcoins genannt, aus. Wie sehr, zeigt sich an der Korrelation. Wenn der Bitcoin-Kurs steigt, dann steigen in der Regel mit ihm auch die tausenden anderen Coins – und vice versa. Dass es diese Abhängigkeit gibt, kommt nicht von ungefähr. Bitcoin ist die erste und praktisch einzige Kryptowährung, die ihren Anwendungsfall nicht mehr beweisen muss. Während andere Coins noch ihren Nutzen und ihr Anwendungsspektrum herausfinden oder etablieren müssen, ist das beim Bitcoin bereits geschehen.
Dies liegt unter anderem daran, dass sich die Bitcoin Blockchain nicht dem Leistungswettbewerb in puncto Geschwindigkeit, Effizienz oder Kosten stellen muss. Praktisch jede Kryptowährung ist unter diesen Gesichtspunkten Bitcoin überlegen. Da sein Wertversprechen aber in der Dezentralität, Historie und gesellschaftlicher Etablierung liegt, können die anderen Aspekte tendenziell vernachlässigt werden. Sollte Bitcoin in Zukunft dennoch viele Transaktionen abwickeln müssen, dann würde das sowieso nicht über die eigentliche Blockchain, sondern über eine zusätzliche Transaktionsebene, sogenannte Second-Layer-Lösung, geschehen.
Schließlich hat sich Bitcoin vorerst als digitales Gold im Sinne eines (spekulativen) Wertspeichers etabliert und nicht als Währung für den Kaffeehausbesuch. Ob sich Bitcoin auch als Währung etabliert, mit der man die alltäglichen Dinge des Lebens bezahlt, das muss die Zukunft zeigen. Das Land El Salvador jedenfalls hat Bitcoin im Juni 2021 als offizielle Landeswährung, neben dem US-Dollar, eingeführt.
Generell muss man mit dem Begriff Währung allerdings vorsichtig sein. Die allermeisten Kryptowährungen sind nicht dafür konzipiert, eine Alternative zum Euro oder US-Dollar zu ermöglichen, sondern schlichtweg Zugang zu (digitalen) Anwendungen zu bieten. Die meisten Altcoins sollen also die Nutzung von Dienstleistungen ermöglichen. Etwa auf Plattformen, die im Gegensatz zu Facebook, AirBnB oder Amazon für sich beanspruchen, dezentral zu sein. Um ebendiese Dezentralität zu erreichen, dienen die Kryptowährungen, die man im technischen Sinne als Token bezeichnet, dazu, eine funktionierende Ökonomie ohne Mittelsmänner zu erschaffen. So aussichtsreich diese neuen Formen von dezentralen Unternehmen sind, hakt es bislang noch an der kommerziellen Nutzung. Bislang werden nur wenige Transaktionen im Krypto-Sektor außerhalb der Spekulation, ergo für konkrete dezentrale Anwendungsfälle, vorgenommen. Ebendiese Fokussierung auf die Zukunft, also die Hoffnung, dass die jeweilige Kryptowährung zum neuen Google wird, heizt die Spekulation im Markt an. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass es im Verhältnis zu traditionellen Unternehmen nur wenige Bewertungskriterien gibt, die dabei helfen würden, einen fundamentalen Wert zu beziffern. Entsprechend stark ist der gesamte Markt von der Stimmung der Anleger und eben dem Bitcoin als Leitwährung abhängig.
Wie in den letzten Monaten gut zu beobachten war, bringt dieser Umstand eine hohe Volatilität mit sich. In "gierigen" Marktphasen können die Kurse an mehreren Tagen hintereinander zweistellig klettern, um dann in "panischen" Marktphasen im gleichen Tempo einzukrachen. Gerade Krypto-Neulinge oder Anleger, mit weniger Handelserfahrung, sind schnell von dieser vollkommen neuen Marktumgebung verunsichert. Zumal sie anstatt ihres Wertpapiers beim Depot der Hausbank eine neue technische Infrastruktur, wie Wallets und Token, nutzen müssen.
Um dieser Verunsicherung entgegenzuwirken und auch mehr institutionelle Investoren ins Boot zu holen, bieten immer mehr Banken und Vermögensverwalter regulierte beziehungsweise verbriefte Krypto-Produkte an, die auf klassischem Weg gezeichnet werden können. Sei es das Bitcoin-Zertifikat, das man im elektronischen Handel der Deutschen Börse handeln kann oder der Bitcoin-Investmentfonds, in den Hedgefonds, Versicherungen oder sonstige institutionelle Anleger investieren können. Zwar hat die amerikanische Wertpapieraufsicht SEC noch keinen der unzähligen Bitcoin-ETF-Anträge genehmigt, doch scheint auch dies nur noch eine Frage von Monaten zu sein. Ganz gleich, ob Vermögensverwalter wie Blackrock oder Fidelity, die Investmentbanken Goldman Sachs oder J.P. Morgan: Sie alle haben bereits Anträge respektive Meldungen bei der Finanzaufsicht eingereicht, um ihren Kunden Krypto-Dienstleistungen zu ermöglichen.
Dieser enorm vielversprechenden Entwicklung stehen aber auch Rückschläge gegenüber. So gehen die Staaten immer rigoroser gegen den Krypto-Markt vor und ziehen die Zügel der Regulierung immer weiter an. Insbesondere China hat im Mai 2021 für Schlagzeilen gesorgt, indem die Bitcoin-kritische Regierung das Kryto-Mining vielerorts untersagte. Doch auch außerhalb Chinas versuchen Regierungs- und Notenbankvertreter immer wieder Bitcoin zu diskreditieren. Sei es die EZB-Chefin Christine Lagarde oder Finanzministier und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: von Kryptowährungen zeigen sie sich alles andere als begeistert – digitales Zentralbankgeld ausgenommen. Gerne bedient man das Image einer Darknet-Währung, die nur Kriminelle nutzen. Dieser Diskreditierungsversuch verläuft allerdings immer öfter ins Leere. Schließlich befassen sich eben auch institutionelle Anleger und Konzerne mit Bitcoin und Co. Entsprechend wird es immer schwieriger, Krypto-Investoren zu belächeln, wenn es sich dabei um die größten Vermögensverwaltungen dieser Welt oder gar bodenständige Pensionskassen handelt. Die Finanzelite hat inzwischen verstanden, dass es ein größeres Risiko ist, kein Bitcoin zu halten, als diesen in einer geringen Gewichtung dem Portfolio beizumischen.
Diesen langfristigen Trend dürfte auch die mediale Anti-Bitcoin-Kampagne der letzten Wochen nicht unterbrechen können. Konkret geht es um den hohen Stromverbrauch von Bitcoin. Selbstverständlich kann man den hohen Stromverbrauch nicht leugnen, doch wurde oftmals sehr einseitig in den Medien darüber berichtet. Manche Politiker liebäugelte sogar mit einem Bitcoin-Verbot, um Schaden für das Klima abzuwenden. Diese öffentliche Bitcoin-Kritik hat sogar Tesla-Chef Elon Musk dazu veranlasst, die geplanten Bitcoin-Zahlungen für Tesla-Fahrzeuge zurückzunehmen. Auch wenn die Umweltkritik an Bitcoin vorerst dem Kurs eher geschadet hat, sind auch hier die langfristigen Auswirkungen positiv. Neue Mining-Anlagen nutzen immer mehr regenerative Energien, sodass der CO2-Ausstoß von Bitcoin immer weiter reduziert wird. Diese erfreuliche Entwicklung dürfte dem Umwelt-Argument gegen Bitcoin immer mehr den Wind aus den Segeln nehmen, sodass auch Investitionen unter nachhaltigen Gesichtspunkten – Stichwort ESG (Environment-, Social-, Governance- Anlagekriterien) – ein Investment in Kryptowährungen rechtfertigen können.
Vor diesem Hintergrund können auch Kryptowährungen, die nicht wie Bitcoin auf dem Mining-Mechanismus (Proof-of-Work) basieren, sondern auf dem sogenannten Staking-Mechanismus (Proof-of-Stake), profitieren. Dieser Abwicklungsmechanismus setzt sich immer weiter durch und hat den Vorteil, dass er gar nicht erst den enormen Energieaufwand benötigt, auf den das Mining angewiesen ist. Die meisten Kryptowährungen sind also bereits heute absolut umweltfreundlich, da ihr Energiebedarf verschwindend gering ist. Schließlich bedarf es beim Proof-of-Stake keiner Hardware, die aufwändige Rechenoperationen durchführen muss. Stattdessen wird das Netzwerk durch hinterlegte Sicherheiten, also die Kryptowährung selbst, abgesichert. Auch wenn es unterschiedliche Voraussetzungen zwischen den einzelnen Staking-Kryptowährungen gibt, können Anleger grundsätzlich daran teilhaben. Die daraus resultierenden "Zinserträge" können eine attraktive Zusatzrendite zur reinen Kursspekulation bieten. Sogar die zweitgrößte Kryptowährung nach Bitcoin, nämlich Ethereum, überführt seinen Konsensmechanismus schrittweise vom Mining zum Staking. Weitere vielversprechende Staking Coins, die in den letzten Monaten viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten, sind unter anderem: Cardano, Solana, Polkadot, Algorand, Tezos, Cosmos und Polygon.
Trotz vereinzelter Rückschläge in den letzten Wochen steht der Krypto-Markt besser da, denn je. Nach der enormen Rallye Anfang 2021 ist die Sommerpause und entsprechende Konsolidierung bei Bitcoin und Co. geradezu gesund. Das brachiale Kurswachstum musste eine entsprechende Pause einlegen. Doch der kontinuierliche Einstieg institutioneller Investoren, der immer größere Nutzen unterschiedlicher Blockchain-Protokolle sowie die zunehmende Inflationsangst unter den Anlegern bilden eine hervorragende Grundlage für ein zukünftig starkes Wachstum bei Bitcoin und anderen Kryptowährungen.
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