Artikel
vom
13.5.20
Manch einer fragt sich, ob er aktiv oder passiv investieren soll. Die Diskussionen reichen vom einen Extrem zum anderen. Der jeweilige Ansatz wird stets als Allheilmittel verkauft. Vertreter vom passiven Investieren zaubern ständig neue Charts aus dem Ärmel: Kosten, Anteil der Überflieger und langfristige Analysen. Die aktiven Methoden können nicht einfach so verallgemeinert werden. Generell argumentieren die Stockpicking-Anhänger mit Unternehmensbewertungen, Wachstums-raten, Sharpe Ratios und der Dummheit der Massen. Die Realität hängt sehr von der einzelnen Person ab. In diesem Artikel teilen wir unsere Ansicht und möchten dem Anleger eine objektive Entscheidungsgrundlage vermitteln.
Die Realität ist hart. 90% der neuen Trader verlieren innerhalb von 90 Tagen 90% ihres Kapitals. Praktisch jeder, der Ihnen erzählt er investiere “langfristig”, hat sein Depot bis zum Rand mit Leichen gefüllt. Ein Papierverlust ist schliesslich kein realisierter Verlust. Die besten Investoren hingegen streichen Jahr für Jahr sieben- bis neunstellige Gewinne ein. The Winner takes it all.
Warum ist das so? Im Trading ist es klar: Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen. Egal ob es sich um einen Buchverlust oder Opportunitätskosten handelt. Die aggregierte P&L aller Marktteilnehmer ist null. Anfallende Broker-Kommissionen und Steuern können von dieser Nullsumme subtrahiert werden.
Auch längerfristig gibt es Kosten und Mittelabflüsse: Gewinnausschüttungen, Firmenpleiten und die oben genannten Übeltäter. Beim Investieren fliessen unter dem Strich jedoch Mittel in den Sektor - z.B. durch frisches Geld, Neuplatzierungen, akkumulierte Unternehmensgewinne, Aktienrückkäufe, Kreditvergaben und neue Anleger. Inflationsbereinigt ist der Kuchen bisher bis auf wenige Ausnahmen stets gewachsen. Wir gehen auch im aktuellen Umfeld davon aus, dass dies langfristig so bleiben wird - da kann die aktuelle Lage ein noch so depressives Vorzeichen haben.
Wenn Sie Geld verdienen wollen, müssen Sie gegen den herrschenden Konsens wetten und richtig liegen. Liegt der Konsens richtig, werden Sie nichts daran verdienen. Und wenn Sie falsch liegen schon gar nicht. Seit 2018 verwalten Anbieter passiver Produkte mehr Geld als aktive Manager. Wenn also plötzlich jeder in ETFs investiert, verschwindet nicht nur die Upside, die Fonds werden dann von Händlern auch noch gnadenlos arbitragiert. Aktives Management würde sich wegen den Kapital-Fehklallokationen im Schnitt plötzlich wieder lohnen - trotz höheren Kosten. Dieses Szenario ist aber noch nicht eingetroffen.
Was sollten Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher also tun? Liegt die Inflation langfristig bei 2% (was sie sauber gerechnet nicht tut), halbiert sich die Kaufkraft von Bargeld alle 35 Jahre. Das Eigenheim in der Pampa bot historisch zumindest Schutz gegen die Inflation. Einen realen Return wurde damit aber nur selten erzielt. Obwohl Aktien über lange Zeiträume bisher die beste Rendite brachten, besitzt nur jeder achte Deutsche Aktien oder Aktienfonds-Anteile. Sie sollten also zu der Minderheit gehören, die etwas mit ihrem Geld tut. Die Opportunitätskosten beim Nichtstun sind tödlich. Es ist bekannt, dass passiv verwaltete Aktienindizes die Gratwanderung zwischen langfristigem Return, Erfolgswahrscheinlichkeit und Aufwand am besten meistert. Auf die Auswahl aktiver Manager würden wir uns in diesem Fall nicht verlassen. Die Gebühren sind hoch und die Leistungen oftmals mangelhaft. Wenn Sie über keine finanzielle Bildung verfügen, werden Sie die guten Fonds nicht von den schlechten unterscheiden können. Denn die absolute und relative Performance sagt nichts über das eingegangene Risiko und die zukünftige Leistung aus. Je nach Risikoneigung kann der Durchschnittsbürger dennoch eine umfangreichere Asset Allocation wählen um die Volatilität zu glätten. Eine Möglichkeit dazu wäre z.B. eine passive Version von Ray Dalio’s “All Weather”-Strategie mittels verschiedener ETFs (auch unter “Risk Parity” bekannt) umzusetzen. Teil-Absicherungen über inverse ETFs und Derivate sind auch möglich, allerdings möchten wir an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen. Der Übergang zwischen aktivem und passivem Investieren ist fliessend. Obgleich welchen Ansatz Sie wählen: Investieren Sie nur Geld, welches Sie nie für die Abwicklung Ihres Zahlungsverkehrs brauchen werden.
Der Grossteil der Bevölkerung wird sich nicht für die Finanzmärkte begeistern können. Und das ist auch gut so. Wenn sich alle mit Bitcoin-Mining beschäftigen, wird sich keiner um Herzerkrankungen kümmern. Vielmehr würde die Behandlung der weltweit häufigsten Todesursache so lukrativ, dass sich plötzlich kaum jemand mehr mit Kryptowährungen befassen möchte und jeder Dilettant die einzig mögliche Behandlung verspricht. All das wäre nicht gut. Jeder sollte sich mit dem auseinandersetzen, was ihm Spass bereitet und er seine Stärken ausspielen kann. Oft ist es auch genau das, wofür man am einfachsten Zeit findet. Nur so wird echter Mehrwert geschaffen. Fokussieren Sie sich also auf Ihre Interessen und investieren Sie möglichst viel Zeit darein. Suchen Sie sich eine passive Anlagestrategie und zerbrechen Sie sich nicht den Kopf. Sie werden genügend Zeit für Dinge haben, die Ihnen wichtig sind und dabei besser fahren als viele andere.
Was aber, wenn Sie sich mit gar nichts anderem beschäftigen möchten? Und überzeugt sind, den Markt auf Dauer schlagen zu können? Dann müssen Sie herauszukristallisieren, welches Teilgebiet Sie genau anfixt und warum. Wenn Sie jung sind, und es zu wissen glauben, stürzen Sie sich drauf. All in. Das heisst nicht, dumme Risiken einzugehen. Kalkulieren Sie genau und tun Sie alles, dass der GAU nicht eintrifft. Sie haben noch das ganze Leben vor sich und sie lernen nur. Diesen Vorsprung wird Ihnen später keiner nehmen können. Wenn Sie bereits älter sind, müssen Sie sich besser absichern.
Die Chancen stehen gegen Sie. Der Wettbewerb ist gnadenlos. Suchen Sie Ihre Nische. Diese muss ganz nah an Ihrer Persönlichkeit und Interessen liegen. Schreiben und Testen Sie gerne Algorithmen? Können Sie mit offenen Positionen Nachts schlafen? Möchten Sie einmal kaufen und möglichst nie wieder verkaufen? Kriegen Sie einen Anfall wenn Sie dreissig Minuten lang keine Order eingeben können oder wenn Sie 18 Stunden ununterbrochen vor dem Bildschirm sitzen müssen? Verlieren Sie sich am liebsten im Research von kanadischen Explorationsfirmen? Interessieren Sie sich für die News und Entwicklungen der letzten halben Stunde und lieben es, schlafenden Market-Makern in den Hintern treten? Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Wichtig ist, dass es genau Ihr Ding ist und Sie dabei bleiben. Sie können den Markt auf unendlich viele Weisen schlagen. Aber es ist harte Arbeit, die morgen und übermorgen wahrscheinlich noch keine Früchte tragen wird.
Egal welchen Ansatz Sie wählen, Sie müssen Fehler vermeiden. Arbeiten Sie mit dem Konzept des Chance-Risiko-Verhältnis’ (CRV). Das Risiko ist die nominale Downside multipliziert mit der geschätzten Trefferwahrscheinlichkeit. Für die Berechnung der Chance verwenden Sie analog dazu die Upside. Setzen Sie die beiden Werte in Relation. Das Verhältnis sagt Ihnen, wie viel Gewinn Sie pro riskierten Euro erwarten. Ist das CRV kleiner als 1:3, können Sie die Investition oder den Trade vergessen.
Ein Beispiel mit fast hundertprozentiger Trefferwahrscheinlichkeit könnte die Nachricht einer fair bewerteten Barübernahme sein. Der Übernahmekandidat wird innerhalb weniger Minuten auf den Übernahmepreis steigen. Etwas weniger, wenn dem Deal noch Hürden im Weg stehen und etwas mehr, wenn ein Bieterwettstreit erwartet wird. Oft zirkulieren vorab Gerüchte. Da muss die Wahrscheinlichkeit abgewogen werden. Errechnen Sie die KGV-Bewertungen ähnlicher Übernahmen. Herrscht ein grosser Missverhältnis, können Sie daraus weitere Cases ableiten.
Ein anderes Beispiel könnte die Diskonierung der abgeschätzten Cashflows sein (DCF). Ihre Bewertung ist realistisch, gut begründet und liegt deutlich über dem aktuellen Marktwert. Sie sind überzeugt, dass das Unternehmen eine starke Marktposition, saubere Bilanzen und ein vergleichsweise hohes Wachstum hat. Stellen Sie sicher, dass Ihre Exposure nicht zu gross und Ihr Risiko-Management intakt ist. Die Aktie wird wahrscheinlich erst bei der Veröffentlichung der von Ihnen antizipierten Zahlen steigen.
Sie kennen sich selbst am besten. Definieren Sie, womit Sie sich beschäftigen möchten und ob Sie daran glauben, den Markt schlagen zu können. Wenn ja, legen Sie los. Ansonsten indexieren Sie und gehen mit Ihren Freunden zum Pferderennen. Beim Indexieren ist es eminent wichtig, in den vordefinierten Intervallen zu investieren - auch wenn wir eine noch so harte Depression haben mögen. Vielleicht schwingen Sie sich beim Rennen selbst auf den Gaul. Oder es ist genau Ihr Ding, die nächste Marktlücke aufzudecken und das Wettgeschäft zu revolutionieren. Vielleicht auch nicht. Viele Wege führen nach Rom, vor die Haustür, hinter den Mond oder wo auch immer Sie hinmöchten. Aber bitte tun Sie etwas mit Ihrem Geld.
Siegel, J. J. (2016). Historische Renditen in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Vorlesung an der University of Pennsylvania, Wharton School of Finance.
Arbitrage - Das Ausnutzen von Preisunterschieden. Am günstigen Markt einkaufen bei gleichzeitigem Verkauf im teuren Markt.
inverse ETFs - Exchange Traded Fund, der mittels Derivate auf fallende Kurse des Referenzindex’ setzt. Es kann also auf fallende Kurse gewettet werden ohne einen Leerverkauf zu tätigen.
Kurs-Gewinn Verhältnis (KGV oder P/E) - Die Aktienkurs dividiert durch den Gewinn je Aktie. Klassische Bewertungskennzahl.
Discounted Cash Flow (DCF) - Bewertungskennzahl, die den heutigen Wert eines Wertpapiers aufgrund dessen (erwarteten) zukünftigen Erträgen ermittelt. Aktiv und passiv
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